Trauer darf

Und wenn du traurig bist und mit jemandem reden musst: Die Telefonseelsorge erreichst du 24/7 unter den Nummern: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222. Der Anruf ist kostenfrei. Foto: (c) Pexels


Die Tage werden dunkler. Die Trauer kommt. Morgen ist der 01. November. Der November ist für mich der Monat, der mich – bevor das Weihnachtslicht Hoffnung bringt – daran erinnert, wer nicht mehr da ist, wer fehlt.

An meinem Sohn sehe ich, wie lange meine Mama nicht mehr da ist. Es war der erste Tag meines Mutterschutzes, als ich mich von ihr verabschieden musste. Mutterschutz – ich wurde als Mutter geschützt, während meine Mutter starb. Um vier Wochen haben die beiden sich verpasst auf dieser Erde. In kürzester Zeit musste ich Abschied nehmen, trauern – und neues Leben empfangen. Ich frage mich heute noch, wie ich das geschafft hab. Rückblickend habe ich mich auf wundersame Weise getragen gefühlt. Denn ich hätte vorher nie gedacht, dass ich diese Gleichzeitigkeit aushalten kann.

Wenn ich jetzt mit meinem Sohn am Grab stehe, zeigt mir seine Größe, wie lange sie mir fehlt. Und wenn in der Schule Adventsbasteln mit Großeltern ansteht, sticht es bis heute ins Herz und ich könnte heulen und werde traurig und wütend über andere Mütter, die noch eine Mutter. Es zerreißt mein Herz, wenn mein Sohn sagt: „Schade, dass ich Oma nicht mehr kennengelernt habe.“

Siebeneinhalb Jahre ist das her. Und im November darf die Trauer ganz bewusst in mein Herz einziehen. Denn gegen Trauer hilft vor allem: trauern. Fotos anschauen. Namen sagen. Vielleicht eine Kerze, vielleicht ein Lied, vielleicht Stille. Oder Mamas Plätzchenrezept mit meinen Kindern backen. So mache ich Platz – für das, was weh tut, und auch für das, was schön war und weitergegeben wird.
Das Weihnachtslicht kommt früh genug. Der November darf dunkel sein. Und in diesem Dunkel ist Raum für Liebe, die über den Tod hinaus besteht.

  • 31.10.2025
  • Max Testermann
  • Red
Trauer darf
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